Carl Dohmann hat nicht nur eine Bilanz zu Doha gezogen, sondern für das gesamte verrückte (besonders 50km-Gehen) Jahr 2019. Hier seine für uns hoch interessanten Facebook-Aussagen (mit seiner freundlichen Genehmigung) vom 8. Oktober. Siehe auch unsere Aufforderung vom 5.10., nach der Lobhudelei von IAAF- & DLV-Größen bis nach der WM, NICHT zu schweigen:
„Carl Dohmann – Die Leichtathletik-WM in Doha ist vorbei,…
…es ist jetzt die Gelegenheit mal ein kurzes Resümee zu ziehen. 2019 war bisher ein sehr schlechtes Jahr für die Leichtathletik und für das Gehen speziell. Es begann mit dem Vorschlag, die seit vielen Jahrzehnten bewährten olympischen Strecken 20 und 50km Gehen auf 10 und 30km zu verkürzen. Diese Idee wurde von der überwiegenden Mehrheit der aktiven Geher abgelehnt, eine weltweite Protestbewegung erreichte große Aufmerksamkeit. Der Weltverband IAAF beschloss im März, dass es nach 2021 zwei der vier Strecken aus 10, 20, 30 und 35km geben wird. Und das in Verbindung mit einem elektronischen Chip, der die Flugphase beim Gehen messen soll, aber erst noch getestet wird. Wann genaueres über die Zukunft der Disziplin Gehen entschieden wird, weiß kein Mensch, und ich kenne auch kaum jemanden, der die geplante Veränderung der Strecken gut findet.
Wer die Zukunft nicht kennt, konzentriert sich erstmal auf die Gegenwart. Die bot dieses Jahr eine der ungewöhnlichsten Weltmeisterschaften der Geschichte – zu Herbstbeginn, in einem der heißesten Länder der Welt, mit Straßenwettbewerben in der Nacht. Immerhin die Möglichkeit, sich einem großen Fernsehpublikum zu präsentieren. Nur leider nicht in Deutschland. Die deutschen Sender zeigten tatsächlich keine einzige Minute Gehen live im Fernsehen, trotz der späten Stunde am Wochenende, die endlich mal hohe Zuschauerzahlen versprochen hätte und mit keiner anderen Sendung kollidiert hätte. Dass deutsche Geher weit vorne landen könnten, war angesichts der Platzierungen bei der EM und der letzten WM eigentlich absehbar gewesen. Die 20km-Wettbewerbe wurden in einen, immerhin kommentierten, Live-Stream im Internet verbannt, die 50km wurden vom ZDF völlig ignoriert. Die ARD berichtete dafür am Tag nach dem 50km-Wettkampf kurz und wusste meinen 7. Platz zu würdigen. Leider war dies nicht nach den 20km der Fall, trotz einer deutschen Platzierung sehr nah an den Medaillen. Aber ohnehin wäre es doch Aufgabe von ZDF Sport gewesen, live zu berichten, und nicht darauf zu hoffen, dass die ARD Sportschau das am nächsten Tag nachholt. Das war eine äußerst schwache Programmplanung, da hilft es uns auch nicht, dass in zahlreichen Berichten permanent über die Hitze gejammert wurde, denen wir Geher ausgesetzt waren. Live-Berichte im Fernsehen oder zumindest mal im Internet-Stream von allen Wettbewerben wären uns lieber gewesen.
Und ja, die WM in Doha. Wenn uns zuhause vor dem Fernseher schon niemand die Daumen drücken konnte, so taten dies vor Ort an der Strecke fast ausschließlich unsere eigenen Betreuer. Zuschauer gab es kaum, selbst im Stadion war das bis auf wenige Ausnahmen kaum besser. Die WM war ein Rückschritt für die Leichtathletik insgesamt, die letztes Jahr auf europäischer Ebene schon auf dem Weg war, mit neuen Formaten mehr Zuschauer anzusprechen. Wenn dies in Doha tatsächlich versucht worden sein soll, so ist der Versuch jämmerlich gescheitert. Auch wenn die vielen Helfer vor Ort wirklich engagiert waren, sie mussten am Ende die absurden Befehle ihrer Vorgesetzten befolgen, die es selbst mit Akkreditierung äußerst schwierig machten, überhaupt zum Zuschauen an die Strecke zu kommen. Es hätte wahrscheinlich hunderte Orte auf der Welt gegeben, die für die Leichtathletik-WM besser geeignet gewesen wären, auch wenn dort weniger Öl und Geld fließen.
Ein paar Bemerkungen noch zur Hitze, über die ja schon viel berichtet wurde. Ich bin alles andere als ein Gegner von Meisterschaften, die bei Hitze ausgetragen werden. Sie geben den Ausdauerwettkämpfen einen besonderen Reiz, der über das „Abspulen“ von schnellen Zeiten hinausgeht. Und man sieht ja an der Berichterstattung nach den Wettkämpfen (leider nicht live), dass sie uns in der Öffentlichkeit erst den Respekt entgegenbringen, der uns ansonsten verwehrt bleibt. Also gerne mehr davon. Nach der WM in Doha muss man sich allerdings fragen, wie weit man es damit noch treiben will. Die harten Bedingungen in Katar stellen alles in den Schatten, was es in der Geschichte von Leichtathletikweltmeisterschaften gegeben hat. Und das ganze noch direkt am Meer, wo die Luftfeuchtigkeit besonders hoch ist. Nicht falsch verstehen: Wir Athleten haben uns sehr intensiv auf die Hitze eingestellt, auch wenn die Wege dahin verschieden waren. Die Bedingungen waren bekannt. Und mir wird nach meinem siebten Platz auch keiner mehr nachsagen können, dass ich nicht professionell damit umgegangen wäre oder jetzt einen Grund hätte mich zu beschweren. Aber die Möglichkeiten, sich an harte Bedingungen anzupassen, sind endlich. Und wenn hochtrainierte Athleten so kollabieren, dass sie mit dem Kopf auf dem Asphalt aufschlagen, finde ich das nicht mehr vertretbar. Das kann auch mal böse enden, egal wie viele Ärzte an der Strecke stehen. Für die Zukunft sollten sich die Verantwortlichen ernsthaftere Gedanken machen, wie sie die Gesundheit der Athleten schützen.
Insgesamt bleibt von der Saison 2019 übrig, dass der internationale Sport versucht, die Leichtahtletik attraktiver zu machen, und ihr dabei immer mehr schadet. Ein Beispiel für die vielen „Innovationen“ sind die absurden Startblockkameras bei den Sprints. Kein Mensch will so einen Quatsch. Wenn der Weltverband die WM an einen Ort vergeben würde, wo leicht viele Menschen hinkommen können, die Veranstalter diese kompetent und mit Herzblut organisieren würden, und die Medien WIRKLICH umfassend live davon berichten würden, anstatt immer wieder einen großen Teil in kurze Nachberichte zu verbannen, wären zwar nicht alle Probleme gelöst, aber es würde der Leichtathletik deutlich besser gehen. Da braucht es keine Streckenkürzungen oder Startblockkameras.
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